“Hey, Siri, google mal Sex mit Alexa” – Ein Beitrag von Anis Ben-Rhouma und Dr. Sandra Saeed

„Und wenn die vom Jobcenter fragen, kannst du ihnen sagen: Wir sind unterwegs mit allem, was wir haben, die Algorithmen zu zerschlagen. Und dass die Benzinkanister und Streichhölzer uns gehören. Burn, Palo Alto, burn!“

In diesen Liedzeilen aus „Palo Alto“ der Band Kettcar wird die Verzweiflung von Digitalisierungsverlier*innen aufgeführt, die durch die digitale Transformation ihre Jobs verloren haben. Sie treffen sich in einem Waschsalon und erzählen ihre Geschichte: Da ist der Star-Journalist, dessen „Edelfeder“ durch immer wiederkehrende Sparprogramme nicht mehr benötigt wird. Den Banker Herrn Kaiser fragt keiner mehr „Wohin mit dem Ersparten für das Enkelkind?“ Sein Job wurde durch einen Geldautomaten ersetzt. „Niemand braucht mehr einen, der hinter einem Schalter sitzt.“

Was die Digitalisierung mit uns macht, beschreiben auch Die Ärzte in ihrem Song „True Romance“. Sie singen über Siri, Alexa und Google. Der Protagonist im Lied hat ein digitales Date mit seinem Telefon. Dazu findet die Band die richtigen Worte: „Hey Siri, google doch mal Sex mit Alexa!“. „True Romance“ geht übrigens auf ein Drehbuch von Quentin Tarantino aus den frühen 90ern zurück.

Digitalisierung in der Industrie: Tech-Firmen und die Realwirtschaft

Der Star-Regisseur nahm jüngst an einer Digitalisierungs-Messe in Hamburg teil und hat dort eine viel beachtete Rede gehalten. Auf der #OMR22, dem „Festival für das digitale Universum!“, lies er der Digitalisierung förmlich die Leviten und verteidigte das klassische Kino gegen Streamingdienst-Giganten wie Netflix, DisneyPlus, Amazon Prime etc. Denn darum geht es für die globalen Tech-Firmen, deren Entwicklung sich von dem, was wir gerne als Realwirtschaft bezeichnen, abgekoppelt hat. Facebook, Google, Apple, Amazon und auch Twitter haben mittlerweile ein ganz eigenes Universum geschaffen. Mit Facebooks Metaverse erreicht diese Abkopplung eine neue Phase, die Hilmar Höhn in einem Aufsatz in der Wirtschaftswoche vor allem auch demokratietheoretisch hinterfragt. Nur wo sind hier die Verbindungen in die Realwirtschaft und dem Thema Arbeit?

Natürlich sind da erst einmal die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Tech-Firmen selbst zu nennen. Aber allein vom Volumen her sind die Auswirkungen in der Folgekette des Wirtschaftssystems der Tech-Firmen noch bedeutsamer. Das umfassende Logistik- und Liefersystem von Amazon mit zahlreichen abhängig Beschäftigten in „einfachen“ Tätigkeiten sind dabei nur die sichtbarsten Entwicklungen. Für Gewerkschaften sind diese Betriebe oftmals schwer zu organisieren. Auch in der Realwirtschaft, in den klassischen Betrieben der verarbeitenden Industrie, zieht der digitale Wandel ein. Daher ist es umso wichtiger, die Diskussionen über Digitalisierung und der daraus folgenden Transformation auch hier zu führen.

Betriebsräte digital: die „doppelte Transformation“

Gewerkschaften in Brandenburg und Berlin sind dabei erste wichtige Schritte gegangen. Neben der täglichen Arbeit in den Betrieben auch haeben IGBCE, IG Metall und DGB gemeinsam mit der PCG – Project Consult GmbH in Brandenburg und Berlin verschiedene Projekte dazu realisiert.

Das Modellprojekt „Digitalisierung in Brandenburger KMU: Betriebsräte aktiv für gute Arbeit“ hat verschiedene Angebote entwickelt, die es Betriebsräten ermöglichen, eine konstruktive und aktive Rolle im Veränderungsprozess zu spielen und „Gute Arbeit“ im Betrieb voranzutreiben. Denn gerade in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) verfügen Betriebsräte oft über wenig Ressourcen, die Veränderungen der Arbeitsbedingungen durch den digitalen Wandel neben dem Tagesgeschäft aktiv zu begleiten.

Darauf aufbauend startete vergangenes Jahr das Projekt „Dialog digitale Beteiligung“. Die Beteiligung der Beschäftigten gilt – neben einer gelungenen Kommunikation – als wichtigster Faktor für einen erfolgreichen digitalen Wandel im Betrieb. Durch Beteiligung kann das gesamte Innovationspotential im Betrieb gehoben werden und zugleich werden Akzeptanz- und Umsetzungsrisiken minimiert. Betriebsräte sind somit in der Lage, den Veränderungsprozess voranzubringen und im Sinne „Guter Arbeit“ zu gestalten, gleichsam stehen sie in der Digitalisierung vor der Herausforderung einer „doppelten Transformation“: die Gestaltung der Transformation auf Unternehmensebene und die Gestaltung der Transformation betriebsrätlichen Handelns.

Wenn Arbeitgeber in ihren Betrieben „digitalisieren“, dann ziehen sie im Normalfall sogenannte Digitalakteure hinzu: Softwarehersteller, die Mitarbeiter*innenschulung verantworten. Beratungshäuser, welche die Implementierung neuer Technologien im Betrieb betreuen. Externe Experten*Innen, die untersuchen, inwieweit der Betrieb in der Lage ist, sich auf die Herausforderungen der Digitalisierung rechtzeitig einzustellen.

Roadmap zur digitalen Transformation

Diese Digitalakteure haben in der Regel wenig Schnittmengen mit den betrieblichen Interessenvertretungen. Damit die Beschäftigten stärker am digitalen Wandel beteiligt sind und gleichsam „Gute Arbeit“ gestärkt wird, diente das Projekt der Vernetzung und dem Dialog zwischen bisher unverbundenen Akteuren: Den Betriebsräten auf der einen Seite und den Digitalakteuren auf der anderen. Entsprechend erarbeiteten in aufeinander aufbauenden Workshops Betriebsräte und Digitalakteure gemeinsam eine Roadmap zur digitalen Transformation, welche Mitbestimmung und Beteiligung ausformuliert. Dieses Herangehen unterscheidet sich somit von einer punktuellen Betrachtung wie etwa dem Abschluss einer separaten Betriebsvereinbarung zum Datenschutz.

Die gemeinsame Arbeit von Betriebsräten und Digitalakteuren beschreitet Neuland: beide Seiten profitieren enorm von ihren unterschiedlichen Rollen, Sichtweisen, Erfahrungen und Fähigkeiten. Gleichzeitig teilen sie die Überzeugung, dass Veränderung immer dann nachhaltig gelingt, wenn sie beteiligungsorientiert gestaltet ist.

Damit digital besser wird, ist noch viel zu tun

Die beteiligten Gewerkschaften, Betriebsräte, Unternehmen und Digitalakteure haben sehr gute Erfahrungen mit den benannten Projekten gemacht und großen Nutzen für ihre alltägliche Arbeit gezogen. Viele Produkte sind entstanden, die auch nach Ablauf der Projektzeit immer wieder verwendet werden können. Im Rahmen der Projekte hat sich immer wieder gezeigt, dass die jeweiligen Bundesländer nicht alleine betrachtet werden können. Es gibt bereits auf politischer Ebene eine Zusammenarbeit zu den Themen zwischen den Landesregierungen von Berlin und Brandenburg. Noch fehlen aber entsprechende Förderrichtlinien, die eine Fortführung der Projekte ermöglichen. Die beiden Bundesländer müssen bei den Themen Digitalisierung und Transformation gemeinsam gedacht werden, denn die Trends stoppen nicht am Autobahnring um Berlin.

Damit es – wie in den eingangs beschriebenen Pop-Songs –nicht dazu kommt, dass beschäftigte hinter der Digitalisierung zurückbleiben, stehen Arbeitnehmer*Innen, Betriebsräte und die sie vertretenden Gewerkschaften vor gewaltigen Herausforderungen. „Digital ist besser“ sang die Band Tocotronic bereits Mitte der 90er. Auch wenn ihr Songtext eher ironisch gemeint war, bleibt für Gewerkschaften und Betriebsräte noch viel zu tun, damit digital im realen Arbeitsleben auch wirklich besser wird. Sodass Beschäftigte die Digitalisierung mitgestalten und nicht von ihr „gestaltet werden“. Dafür sind nun die richtigen Weichen zu stellen.

 

Der Artikel erschien zunächst auf der DGB-Gegenblende.

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